Nathaniel Paine
Ich fasse es einfach nicht.
Wie dreist können Menschen sein?
Wie kann man sowas tun? Ich meine, man muss doch wirklich zu viel Freizeit haben, wenn einem solche Dinge einfallen, oder?
Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich von diesem…diesem Kerl, eigentlich halten soll.
Ich sehe zu ihm, aber er sitzt einfach da und wirkt unbeteiligt.
„Wieso würde Emily das für dich tun?“, frage ich ihn.
Er zuckt nur mit den Schultern. „Weil sie das eben für mich tun würde.“
„Und weshalb?“
„Naja, weißt du, bevor sie für dich gearbeitet hat, da hatte sie schon einen Job...“, meint er beiläufig.
„Das kann ich mir denken, aber es ist unmöglich, dass sie für dich gearbeitet hat. Das geht gar nicht – du bist gar nicht alt genug dafür. Sie arbeitet schon zu lange für mich.“, halte ich gegen das, was er hier offenbar anzudeuten versucht.
„Ich nicht, aber sie – und mein Vater.“
„Sie hat für deinen Vater gearbeitet? War der nicht Pilot?“
„Ist er immer noch. Sie war mal sowas wie seine Assistentin. Ich fand sie nett. Und jetzt arbeitet sie für mich.“
„Für dich?“, frage ich emotionslos. Ich weiß gerade wirklich nicht, was ich sagen soll.
Arbeitet sie nicht für mich?
„Emily arbeitet nicht die ganze Woche für dich und auch nur Teilzeit. Den Rest übernimmt dann Melody, oder du bist allein in der Praxis – das weiß ich übrigens auch von ihr. Den Rest der Zeit, arbeitet sie für mich.“
„Ach ja, und als was? Als Stalker?“, meine ich sarkastisch.
„Als eine Art Aushilfe.“, fällt er mir energisch ins Wort – seufzt dann aber. „Sie hilft mir besonders bei der Informationsbeschaffung, wobei sie natürlich nichts erfährt, was sie nicht wissen dürfte, oder das sie in Gefahr bringen könnte, außerdem hat sie eine Schweigepflicht, falls sie doch etwas erfährt.“, antwortet er nüchtern und sieht scheint sich nach etwas umzusehen, ehe er eine Flasche vom Boden aufhebt und ein bisschen Orangensaft in zwei Gläser eingießt.
Er reicht mir eines der Gläser und sieht mich dann an. „Wollen wir nun frühstücken?“
Jetzt…okay, lassen wir es.
Ich sollte ab jetzt ein Auge auf Emily haben, das ist mal sicher…immerhin hat sie Zugang zu vertraulichen Informationen in meiner Praxis!
Als hätte er meine Gedanken gelesen, legt er eine Hand auf meinen Arm. „Und mach dir keine Sorgen wegen ihr – ich vertraue ihr. Sie hat auch schon ein paar empfindlichere Informationen für mich gesammelt und hat darüber geschwiegen wie ein Grab. Sie würde niemals Informationen weitergeben. Außerdem habe ich sie immer nur über dich ausgefragt – was du so tust, wie es dir geht und ob du gerade in einer Beziehung bist. Sie hatte für mich immer ein Auge auf dich. Das ist alles. Ich war immerhin eine ganze Weile in Amerika und auch an anderen Orten. Am Wenigsten war ich in der Stadt, daher war es für mich unmöglich das selbst zu tun.“
Irgendwie überrascht, wegen seiner Ehrlichkeit, bin ich erst einmal ziemlich baff. Ich hätte nicht gedacht, dass er so einfach damit herausrückt.
Aber man lernt ja nie aus – das war schon in dem Moment klar, als einer der größten Rocker und Schulrowdys, die die Sweet Amoris High und ich, je gesehen haben, sich als einen FBI Agent herausgestellt hat.
Und offenbar ist er auch noch ein Guter.
„Sag mal…was hast du die letzten Jahre eigentlich gemacht? Ich meine, du scheinst ja alles über mich zu wissen, aber ich weiß eigentlich gar nichts über dich, wenn ich so darüber nachdenke...“
Er hat gerade offenbar vorgehabt einen Schluck Saft zu trinken, hält nun aber in seinem Tun inne. Scheint zu überlegen.
Dann holt er kurz Luft, ehe er mich ansieht. „Da gibt es nicht viel. Ich habe meine Arbeit gemacht. Habe gelernt. Trainiert. Und dann gab es dieses Programm, das FBI-Agenten in andere Länder abkommandiert. Und da ich sowohl qualifiziert, als auch aus Frankreich, bzw. auch noch aus dieser Stadt war, wurde meine Bewerbung dafür angenommen. Und nun bin ich hier.“, leiert er herunter.
„Das ist alles? Was hast du denn dort trainiert? Und warum hast du dich eigentlich dort beworben? Es interessiert mich wirklich…“, sage ich.
Ich weiß, es ist nicht fair. Ich kann an seinem Gesicht ablesen, das er nicht so gerne darüber spricht. Aber ich will es wirklich wissen…ich kann mich auch später noch bei ihm dafür entschuldigen.
„Naja, warum ich vor kurzem hierher zurückgekehrt bin, sollte klar sein. In einem anderen Fall, hätte ich schon eine Lösung gefunden, wieder hierher zu kommen. Wegen dir. Und zu der Sache mit der Ausbildung…“, beginnt er und macht dann eine kurze Pause, während ich nur nicke, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich alles verstanden habe.
Es ist irgendwie süß, dass er wegen mir zurückgekommen ist. Aber irgendwie, macht es mir auch Angst.
Ich weiß nicht, wie ich mit seinen Gefühlen umgehen soll.
Und noch weniger weiß ich, wie ich mit meinen eigenen Gefühlen klar kommen soll.
Von einem Seufzen werde ich aus meinen Gedanken gerissen und konzentriere mich wieder aus Castiel, der wohl weitersprechen will. Es ist auch besser so.
Er holt ein bisschen Luft und dann kurz zur Decke, ehe er wieder vor sich sieht, auf alles und doch nichts, das dort auf dem Tablett platzier ist. „Ich war auf einer Polizeischule. Hab die übliche Ausbildung so schnell wie möglich hinter mich gebracht. War dann in Quantico, einem Bundesstaat in Virginia, und habe an der National Academy meine zwanzig wöchige Ausbildung hinter mich gebracht. Es war manchmal hart – viele sind schon nach der ersten Woche gegangen.“, meint er und wirkt ein wenig nachdenklich.
So wie ich ihn heute und gestern gesehen habe, habe ich ihn in all den Jahren unserer Jugend und Kindheit noch nicht gesehen. War er schon immer so?
Oder kann es wirklich sein, das sich ein Mensch in nur sieben Jahren, so sehr verändert?
Aber ich finde sein neues Gesicht, ist sehr viel interessanter so viel besser, als das, was er mir früher immer gezeigt hat.
Aber vielleicht war er ja auch schon immer so…ich wollte es nur nie sehen.
„Warum das? Ist die Akademie denn so schwer?“
„Das kommt auf die Person an. Das Problem war, dass es das FBI ist und naja, das ist zwar im Prinzip in allen Polizeibereichen so, aber beim FBI wird nun mal scharf geschossen. In unseren Fällen geht es selten ruhig zu und es kann nun man vorkommen, das wir jemanden erschießen müssen.“, sein Blick schweift ab und gleitet durch den Raum, bis er an seiner Hand und dem Glas, dass sich immer noch darin befindet, hängen bleibt.
Er zeichnet unsichtbare Muster auf dem Rand des Glases nach, während er weitererzählt. „Auf der Akademie mussten wir ein besonderes Waffentraining absolvieren und vielen wurde dann erst wirklich bewusst, dass sie das trainieren, um wirklich auf Menschen zu schießen – und sie unter umständen zu töten.“
„Und dann?“, frage ich, aber irgendwie leiser, als ich vorhatte. Ich will nichts Falsches sagen.
Ich weiß nicht wieso, aber dieser Moment fühlt sich besonders an. Es fühlt sich an, als würde er mir etwas Wichtiges anvertrauen – oder als würde er es zumindest wollen.
„Dann ist ihnen erst klar geworden, dass sie niemanden töten könnten und dass das bei uns sehr viel wahrscheinlicher ist, als an einer normalen Polizeidienststelle. Dann sind sie gegangen.“
„Und du nicht?“
„Nein. Ich nicht. Ich wusste es vorher schon, aber…ich komme damit klar.“ „Bist du dir da sicher?“, frage ich, weil sein Gesichtsausdruck eigentlich etwas ganz anderes sagt.
„Ja.“, sagt er dann schnell und stellt das Glas auf dem Tablett ab, ehe er kurzerhand aufsteht und sich den Mantel schnappt, der über einem Stuhl hängt. Dann dreht er sich zu mir um. „Weißt du was? Du frühstückst jetzt erst mal in Ruhe und ich gehe kurz etwas erledigen. Wenn ich wieder komme und du dann fertig bist, dann bringe ich dich nachhause, wenn du willst, okay?“
Irgendwie hat er mich damit jetzt leicht überrumpelt.
Vorhin war er noch gut gelaunt und jetzt…was ist damals passiert?
Oder schon vorher?
Aber ich weiß, jetzt wird es mir nicht mehr verraten. Er scheint eher dicht gemacht zu haben.
Vertraut er mir etwa nicht? Aber warum nicht?
Er hat doch behauptet, er würde mich lieben und dann vertraut er mir nicht?
Das ist seltsam.
„Ähm, ja okay…“, meine ich nur, etwas verdutzt.
Gerade als er den Raum verlassen will, halte ich ihn noch einmal auf. „Warte!“
Er dreht sich um und sieht mich fragend an. „Kann es sein…dass du mir nicht ganz vertraust?“, falle ich direkt mit der Tür ins Haus.
Das ist eigentlich nicht so wirklich meine Art – vor allem, wenn ich jemanden dazu bringen will, mit mir zu sprechen.
Er zieht nur die Augenbrauen zusammen und sieht mir dann direkt in die Augen. „Vertrauen basiert immer auf Gegenseitigkeit.“
Dann ist er auch schon verschwunden.
Wie soll ich denn das jetzt wieder verstehen?
Was für ein komischer Kerl…
Nur eine Dreiviertelstunde später, ist er wieder da. Ich bin fertig, habe mein Gesicht notdürftig mit Wasser ein bisschen gewaschen und stehe an der Tür.
Nach diesem seltsamen Morgen, bestand mein Frühstück aus einer trockenen Scheibe Toast und einem Kaffee.
Aber das ist irgendwie schon mehr, als ich sonst morgens esse.
Ich habe mich vorher, auf der Suche nach der Toilette, ein wenig in seinem kleinen, aber doch geräumigen Domizil umgesehen.
Es ist überall so eingerichtet, wie in seinem Zimmer.
Das Wohn- und Esszimmer, das man Betritt, wenn man durch die Tür kommt, ist recht groß, hell, irgendwie edel, aber doch gemütlich und auch freundlich.
Irgendwie gar nicht das, was ich mir bei ihm vorgestellt hätte. Ich habe sogar einen Blick in den Kühlschrank riskiert, in dem Glauben, es würde dort genauso aussehen, wie in meinem eigenen – Ödland.
Aber das stimmt nicht. Sein Kühlschrank ist normal ausgestattet und er scheint sich sogar sehr gesund zu ernähren.
Allerdings will ich gar nicht wissen, wie viele Fertiggerichte er in den anderen Schränken parkt, die in seiner kleinen Küche zu finden sind.
Aber auch hier, ist alles ordentlich.
Das ist das, was hier in jedem Raum auffällt – es ist so sauber, dass es glänzt.
Der Castiel, den ich kenne, oder eher ‚kannte‘, hatte nie so viel Sinn für Ordnung.
Und ich sehe hier auch keinen einzigen Aschenbecher herumstehen – habe nur einen in einer Schublade gesehen, der war aber neu und noch nicht benutzt.
Auch keine Zigarettenschachteln, oder ähnliches.
Und er riecht auch nicht nach Rauch – weder er, noch seine Kleidung, oder seine Wohnung.
Aber was mir besonders auffällt, wenn ich den alten Cas, mit diesem hier vergleiche…ist sein fehlender Hund.
Was ist mit Demon passiert?
Das hat mich alles sehr gewundert, aber jetzt, da er zurück ist, kann ich ihn ja danach fragen.
Er sieht mich an. „Können wir los?“
Meine Gedanken stoppend, beginne ich mal mit der einfachsten Frage. „Sag mal, warst du schon immer so ordentlich?“
Er sieht mich an, dann kratzt er sich kurz am Hintergrund. „Ähm, ja, natürlich, was sonst?“
„Und du hast so viel Zeit zum Aufräumen?“
„Naja…“, drückt er sich um eine Antwort.
Ich ziehe eine Augenbraue hoch und er seufzt kurz, ehe er sich scheinbar doch geschlagen gibt.
Das ging überraschend schnell.
„Gut, ich hab eine Hausfrau. Aber zu meiner Verteidigung: Ich habe wirklich nicht so viel Zeit für solche Dinge. Sie hilft mir auch mit den Einkäufen, das ist echt praktisch. Ich bin eh nicht oft zuhause und sie kommt auch nicht oft – nur zwei Mal in der Woche. Da sieht sie hier nach dem Rechten.“
Ach, deshalb hat er so viele frische Sachen da und alles ist so ordentlich. Hätte ich mir denken können.
Beinahe hätte ich gelacht, verkneife es mir aber lieber.
Ich will es nicht kaputt machen – irgendwie hatte ich vorhin das bedrückende Gefühl, dass er mir erst viel näher kam als je zuvor und sich dann auf einen Schlag, wieder doppelt so weit von mir entfernt hat. Aber jetzt klingt er wieder ganz normal.
Ich frage mich, wo er gewesen ist. Und was vorhin eigentlich los war.
Und was genau, hat er mit dem letzten Satz gemeint, den er vorhin zu mir gesagt hat?
Was hat er damit gemeint? Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit? Das weiß ich.
Aber was wollte er mir damit sagen? Dass ich ihm nicht vertraue?
Oder interpretiere ich da zu viel hinein?
„Gehen wir nun, oder willst du da Wurzeln schlagen?“, meint er scherzhaft und reißt mich so aus meinen Gedanken.
„Ja…“
Dieses Haus ist ziemlich gut bewacht, dass muss ich schon sagen – ich frage mich, welche Leute hier wohl noch so wohnen.
Ich konnte es mir auf dem Weg zu seinem Auto, jedenfalls ziemlich gut ansehen.
Jetzt sitzen wir jedoch hier. Und wir reden nicht.
Irgendwie fühlt sich diese Stille einfach nur bedrückend an.
Und das ist immer noch etwas, das ich gerne wissen würde…
„Castiel…du…“, fange ich an und mache dann eine Pause.
Wie soll ich ihn das fragen?
„Was?“
„Sag…was ist eigentlich aus Demon geworden? Er schien nicht da zu sein.“
„Das ist er auch nicht.“, antwortet er knapp und wirkt direkt ein wenig bedrückt.
Er sieht mich von der Seite an und scheint meinen fragenden Blick zu bemerken, dann atmet er erstmal schwer aus. „Er ist letztes Jahr gestorben. Er hatte mit der Zeit ein Herzproblem entwickelt und er war nun mal schon alt.“
„Das ist…traurig. Tut mir wirklich sehr leid.“ Mehr fällt mir dazu einfach nicht ein.
Er war mal sowas wie sein bester Freund – abgesehen von Lysander vielleicht.
„Muss es nicht – naja, er hatte es gegen Ende ziemlich schwer. Es war wahrscheinlich besser so. Er ist friedlich im schlaf gestorben...“
„Oh…“, gebe ich nur zurück.
Wow, Nathaniel, wie wortgewannt du heute wieder bist…echt unglaublich.
Ich sehe aus dem Fenster und staune fast – wir sind bereits da.
Nur wenige Momente später, fährt er auf einen Parkplatz und hält das Auto an.
Als er plötzlich eine Hand in meine Richtung bewegt, zucke ich plötzlich zusammen.
Warum? Kann ich nicht sagen.
Aber ich kann sagen, dass meine Reaktion ihn offenbar ein bisschen getroffen hat. Er scheint zumindest ein wenig enttäuscht. „Ich wollte nur deinen Gurt lösen, weil er manchmal klemmt – er wird demnächst ausgetauscht…“
„Äh, nein…ist schon gut. Ich wollte nicht…“
„Schon klar.“, meint er nur.
Ist es nicht.
Hat er vielleicht das gemeint?
Aber warum? Ich dachte eigentlich, ich hätte ihm genug vertrauen geschenkt. Oder doch nicht?
Ich weiß es nicht. Aber warum bin ich dann eben zusammengezuckt?
Es ist doch nur Castiel und wir haben letzte Nacht nebeneinander gelegen – auch wenn ich jeden für geistig labil eingestuft hätte, der mir das noch vor einigen Tagen hätte weismachen wollen.
Langsam öffne ich die Tür. „Soll ich dich noch bis vor begleiten?“, fragt er von der Seite.
„Klar.“, antworte ich, ohne viel darüber nachzudenken.
Ich will wirklich noch einen Moment länger mit ihm verbringen.
Ich steige aus und warte darauf, dass er es mir gleich tut.
Vielleicht stimmt es ja wirklich.
Vielleicht mache ich wirklich manchmal den Eindruck, als würde ich ihm nicht ganz vertrauen.
Vielleicht denkt er es auch noch, weil ich ihm früher niemals trauen konnte.
Er hat wohl tatsächlich Grund genug, es anzunehmen.
Aber er hat Unrecht. Nur wie soll ich ihm das zeigen?
An der Tür angekommen, schließe ich langsam auf und will mich von ihm verabschieden, aber er hat sich bereits mit einem leisen „Bis dann“, herumgedreht und will verschwinden.
Ich halte ihn noch einmal am Arm zurück, ehe er einfach wieder verschwinden kann.
Doch als er sich umdreht und ich die leichte Enttäuschung in seinen Augen sehe, muss ich schlucken. Was soll ich jetzt nur sagen?
Aber ich habe ihn aufgehalten, also muss ich nun auch etwas sagen. Und das will ich auch.
Ich weiß nur nicht, wie ich es ausdrücken soll. „Ich…“, beginne ich, breche aber wieder ab und sehe zu Boden.
Dann atme ich einmal tief ein und sehe ihm noch einmal in die Augen.
So schwer kann es ja eigentlich nicht sein.
„Also, ich denke…dass ich dir vertrauen kann.“
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