Castiel Voltaire
Süß.
Das war das erste Wort das im Sinn hatte, als ich heute Morgen aufgewacht bin und Nate neben mir liegen sah.
Er sieht einfach süß aus, wie er so ruhig schläft.
Manchmal ein bisschen im Schlaf murmelt.
Und so zusammengerollt in meinen Armen liegt.
Ja. Süß ist das richtige Wort, denke ich.
Ich stehe langsam auf, um ihn auch ganz sicher nicht zu wecken.
Ich liebe ihn wirklich. Aber ich sollte ihm besser Zeit geben.
Eine freche Haarsträhne fällt nach vorn in sein Gesicht, woraufhin ich sie ihm sanft hinter das Ohr streiche.
Plötzlich beginnt er, irgendetwas zu murmeln – wird unruhig.
Ich streichle ihm noch einige Male über sein Haar und beobachte, wie er langsam wieder ruhiger wird. „Ich werde schon aufpassen, dass dir nichts mehr passiert.“
Wenn er mir im wachen Zustand nur genauso viel Vertrauen schenken würde…
Ich habe die letzte Stunde in der Küche und im Badezimmer verbracht.
Habe Geduscht; Kaffee und Frühstück gemacht.
Ich richte schnell alles auf einem großen Tablett an und warte, bis ich im Schlafzimmer eine Bewegung wahrnehme – ich dachte nicht, dass er so schnell wach wird, aber es ist ja auch schon Zeit zum Aufstehen.
Ich schnappe mir das Tablett und mache mich also auf den Weg.
Jetzt wird erstmal gefrühstückt...
Allerdings lief das Frühstück nicht ganz so, wie ich es eigentlich vorhatte.
Irgendwann hat er angefangen Fragen zu stellen. Und das ist auch sein gutes Recht.
Ich habe zwar geantwortet…doch nicht so, wie ich es gern gewollt hätte.
Und ich weiß genau, dass er sich sehr viele Gedanken machen wird. Das war nie meine Absicht.
Doch ich glaube ‚Vertrauen basiert immer auf Gegenseitigkeit.‘ war nicht ganz das, was ich hätte sagen sollen.
Oder wollen.
Aber es stimmt.
Ich konnte es ihm nicht sagen, als er danach gefragt hat.
Ich konnte ihm keine Antworten geben, auf das, was er so gerne wissen wollte.
Und ich glaube, wenn er mir vertrauen soll, muss ich es ihm erzählen.
Aber es wurde mir zu viel. Darum bin ich nun hier.
Bin davon gerannt.
So wie ich damals davon gerannt bin.
Aber was, wenn er mich hasst, nachdem ich es ihm erzählt habe?
Auch wenn ich weiß, dass er eigentlich nie so einer war.
Er ist jetzt älter und ich kenne ihn eben nicht so gut, wie ich es gerne hätte – es könnte sein, dass er mich danach hasst.
Ich stehe hier, auf dem nahegelegenen Friedhof der Stadt.
Ich war schon eine Weile nicht mehr hier. Nicht mehr, seit ich damals gegangen bin.
Als ich davon gelaufen bin.
Ich sehe zu dem Grab zu meinen Füßen und mein Blick wird trüb.
Derek Stone. Das ist das, was in den Stein gemeißelt wurde.
Ein einfaches Grab. Ohne Blumen. Ohne Schmuck.
Lieblos.
Ich sehe auf die Uhr und merke, dass ich schon über eine halbe Stunde weg bin.
Ich sollte zurück nach Hause fahren – Nathaniel wartet schließlich.
Mein Weg führt mich über den Kiesweg zurück zum Tor, dort wo mein Wagen steht und ich verlasse den Friedhof ohne mich noch einmal umzusehen.
Als ich die Tür hereinkam, stand er schon bereit. Irgendwie hatte ich sofort ein komisches Gefühl.
So eines, das ich immer dann bekomme wenn jemand an meinem Kram war.
Er hat hier rumgeschnüffelt.
Und ich dachte ich sei neugierig.
Aber es macht nichts.
Viel von mir erzählt, habe ich ihm bisher nicht und ich sollte ihm wohl irgendwie die Chance geben, sich für die Aktion mit Emily zu rächen…
Alles Weitere geht jedenfalls sehr schnell – wir gehen zu meinem Auto und fahren zu ihm.
Ich weiß ohnehin wo er wohnt.
Auf der Fahrt reden wir kaum – nur einmal kurz, als er mich wegen Demon fragt.
Es ist eine traurige Sache und war damals echt schlimm für mich, aber ich habe es gut überwunden.
Er war eben mein bester Freund, jedoch ging es ihm auch nicht mehr gut.
Und er war die meiste Zeit nicht einmal bei mir – ich war bereits froh, dass ich wenigstens dabei war als er starb.
Ich hatte kaum noch Zeit für ihn.
Als ich bei der Polizei und noch in Frankreich war, vor der Sache mit dem FBI, blieb Demon oft bei Lysander, da ich nun mal nicht immer Zeit hatte.
Aber was auch immer. Es ist vorbei.
Und das Leben geht weiter.
Schneller als ich denke, sind wir auch schon an unserem Zielort angekommen und ich fahre auf den Parkplatz.
Als ich ihm aber den Gurt lösen will, da ich weiß, dass er manchmal klemmt, zuckt Nathaniel merklich vor meiner Hand zurück.
Diese Reaktion ist ja eigentlich normal, immerhin hat er in letzter Zeit viel Stress gehabt – auch durch mich – und ich habe ihn wahrscheinlich auch ein wenig erschreckt, in dem ich mich so rasch genähert habe.
Doch kann ich nicht verhindern, dass ich einen kurzen Moment verletzt war.
Jetzt bin ich allerdings eher enttäuscht – von mir selbst.
Ich sehe kurz zu ihm und ziehe meine Hand ganz zurück. „Ich wollte nur deinen Gurt lösen, weil er manchmal klemmt – er wird demnächst ausgetauscht…“
„Äh, nein…ist schon gut. Ich wollte nicht…“
„Schon klar.“, meine ich nur.
Es ist okay.
Er verlässt den Wagen – oder ist zumindest kurz davor.
Aber ich möchte noch einen Moment länger mit ihm verbringen.
Langsam öffnet er die Tür, als ich ihn noch einmal zurückhalte. „Soll ich dich noch bis vor begleiten?“, frage ich von der Seite.
„Klar.“, antworte er, scheinbar ohne viel darüber nachzudenken.
Ich steige also nach ihm ebenfalls aus und gehe mit ihm nach vorn.
Doch dort sagt er etwas, dass mich ein wenig verwundert.
„Also, ich denke…dass ich dir vertrauen kann.“, meint er.
Ich starre ihn zuerst einfach nur an.
Dann nicke ich jedoch. „Ich weiß…oder naja, ich denke es zumindest.“
Jetzt ist er wohl an der Reihe mich anzustarren. „Wieso das? Ich dachte…ich dachte, du denkst ich vertraue dir nicht?“
„Naja, teilweise stimmt das auch. Du kannst mir noch nicht ganz trauen, aber ich verurteile dich deswegen nicht – ich kann dich gut verstehen. Kann dir die Zeit geben. Das ist nicht das Problem…“
Auf einmal ist er nicht mehr so ruhig, wie er es vorher war – vorhin.
Als ich heute Morgen mit ihm gesprochen habe.
Er wirkt rastlos. Als würde er sich gleich aufregen. „Aber wo liegt dann das Problem?“, fordert er eine Antwort von mir.
Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll. „Es liegt an mir.“
„Also so eine Standardantwort kannst du dir echt sparen! Hast du nicht vorhin noch gesagt, dass du mir nicht trauen kannst, weil ich es nicht kann?!“
„Nein, das…das war nicht so gemeint, ich meinte…“ Ich weiß selbst nicht genau, was ich gemeint habe. „Ich meinte…es anders herum. Ich kann dir nicht ganz trauen. Ich war irgendwie durcheinander und dann kam es einfach falsch heraus…“
Es gibt so viele Momente, in denen einfaches menschliches Versagen schuld daran ist, das die schrecklichsten Dinge geschehen.
Und das hier ist einer davon.
Er sieht mich nur perplex an. Dann zieht er die Augenbrauen zusammen und sieht zu Boden. „Was…meinst du genau?“
„Ich kann dir nicht trauen, das stimmt…aber das hat nichts mit dir zu tun. Ich meine, ich weiß ich kann dir trauen, glaube ich…aber ich kann es einfach nicht. Zumindest in manchen Momenten. Es gibt Dinge, die ich dir einfach nicht erzählen kann.“
Er geht einen Schritt zurück und sieht mich dann noch einmal genau an. „Okay. Aber wir wissen es nicht, wenn du nicht darüber zu sprechen versuchst.“
„Ich möchte es nicht versuchen.“, stelle ich lediglich fest.
„Aber warum denn nicht?“
Wie soll ich darauf nun antworten? Ich atme tief durch und denke kurz darüber nach, ehe ich ihm wieder in die Augen sehe. „Weil du mich dann wahrscheinlich hassen wirst.“, sage ich wahrheitsgemäß und senke meinen Blick.
Aber er schüttelt nur den Kopf und nimmt eine meiner Hände. „Das stimmt nicht...“, versichert er mir mit Nachdruck.
Ich sehe ihn an. „Das kannst du nicht wissen.“
„Und du auch nicht.“, kommt es ohne zu zögern von ihm zurück.
„Doch!“, schreie ich fast, woraufhin er zurückzuckt, aber eigentlich war das nicht meine Absicht.
Ich will ihn ja gar nicht verschrecken. „Es tut mir leid…“, hänge ich also noch an und sehe wieder zu Boden.
Er atmet kurz laut ein und öffnet den Mund, um irgendetwas zu sagen. Aber es kommt nichts dabei heraus.
Dann drückt er meine Hand ein wenig und zieht mich zu sich, wie ein Elternteil es vielleicht bei einem verstimmten Kind tun würde. „Sag…willst du nicht mit rein kommen? Dann können wir noch ein bisschen reden.“, schlägt er vor.
Ich sehe ihn an, sehe aber keine Furcht, Ablehnung, oder ähnliche Gefühle. Nur Aufrichtigkeit und Sorge.
Ich überlege eine ganze Weile, ehe ich ihm eine Antwort gebe. „Also gut…ich werde es dir sagen.“
Als er das hört, hellt sich seine Miene sofort auf.
Er scheint sich darüber zu freuen.
Dass ich mich ihm ‚öffnen‘ werde und so…
Ist wahrscheinlich eine Psychiater-Marotte.
Aber er wird sich nicht mehr sehr lange darüber freuen können, also gönne ich ihm den Moment.
Ich werde ihm wohl die Geschichte erzählen…
0 Reviews:
Kommentar veröffentlichen