Es ist ein wirklich kalter Tag. Die Heizung läuft auf
vollen Touren und draußen ist alles weiß.
Schön.
Ich stehe aus dem Bett auf, in das ich verbannt wurde –
ich hab mir eine Erkältung eingefangen und Castiel kommt mir vor, als würde er
vor Sorge aus den Latschen kippen, weil er zur Arbeit musste und nicht
aufpassen kann.
Also bitte, ich bin immerhin ein erwachsener Mann!
Es gibt jedoch kaum einen Ort, an dem ich jetzt sein
will, wenn nicht in Castiels Armen – da ist es immerhin kuschelig, das ist ja
wohl nicht verboten.
Meine nächsten Schritte führen mich schnurstracks zu
einer Wand des Raumes – der wohl einzige Ort, an dem ich jetzt tatsächlich
gerne bin.
Die Wand mit dem großen Fenster.
Ich sehe aus dem Panorama Fenster, das durch die Wärme im
Raum beschlagen ist und auf dessen Rändern sich außen einige Eiskristalle
gebildet haben.
Und von dort aus betrachte ich das Winterwunderland, dass sich vor meinen Augen erstreckt.
Und von dort aus betrachte ich das Winterwunderland, dass sich vor meinen Augen erstreckt.
Ich betrachte die Stadt, die bereits in sanfte Dunkelheit
getaucht ist – dennoch ist das rege Treiben noch lange nicht verstummt.
Ich betrachte die vielen Lichter, die in meinem Blickfeld
tanzen und alles ist in ein schönes Weiß getaucht.
Ein toller Anblick.
Das hier ist die Stadt, in der ich aufgewachsen bin.
Die Stadt, in der ich zur Schule gegangen bin.
Die Stadt, in der ich Castiel kennen gelernt habe.
Und die Stadt, in der ich ihn ein weiteres Mal, kennen
und diesmal auch lieben gelernt habe.
Ja, an dieser Stadt hängen einige meiner wertvollsten
Erinnerungen, doch damals war mir das nicht klar.
Ich dachte, ich würde nicht lange hier bleiben – war umso
überraschter, als es mich nach meinem Abschluss, als ich meine eigene Praxis
eröffnen wollte und es auch tat, tatsächlich wieder hierher zurückzog.
Und jetzt bin ich wieder hier. Ich glaube ja eigentlich
nicht daran, aber es könnte Schicksal gewesen sein.
Oder vielleicht auch einfach nur Glück – ebenfalls etwas,
an das ich bei mir eigentlich nicht glaube.
Als ich weiter aus dem Fenster sehe und alles betrachte,
wie ein stiller Beobachter, fällt mein Blick auf den Park.
Ja, der Park…
Plötzlich erinnere ich mich an ein paar Dinge.
Es war an einem kalten Morgen, als ich dort einmal auf
Castiel traf.
Das war einer unserer ersten Annäherungsversuche…doch
dieser Tag war nicht besonders erfreulich für mich. Ich glaube, bis gerade
eben, habe ich seitdem nie wieder einen Gedanken daran verschwendet.
Schade.
Und wie ich so darüber nachdenke, fällt mir ein weiteres
Mal ein. Wieder ein Tag, an dem wir uns nahe waren. Wie konnte mir nie
auffallen, was er für mich empfand?
War ich wirklich so blind?
Na gut, damals hat er es wirklich noch nicht so offen
gezeigt, wie er es heute tut.
Meine Erinnerungen gehen zurück…zu diesem einen Tag, mitten im Dezember…
Es ist kurz vor
Weihnachten. Alles ist schön.
Die Stadt
dekoriert. Die Felder, Häuser und Wälder – weiß.
Alle sind
Glücklich…außer mir.
Tja, meine Familie
fährt über die Feiertage in den Urlaub – los geht es morgen.
Aber ratet mal, wer
morgen nicht mit fährt. Weil er angeblich etwas getan hat, was eigentlich seine
Schwester verbockt hat.
Dreimal dürft ihr
raten. Sicher schwierig, was?
Genau. Ich war’s.
Ganz klar. Wer auch sonst? Sicher nicht Amber, oder so.
Sie ist schließlich
ein Engel und tut nie etwas, also muss ich es ja gewesen sein, nicht wahr?
Ich hasse es.
Aber andererseits:
So habe ich einige Tage meine Ruhe und muss mir keinen Tadel anhören.
Von niemandem.
Ich laufe weiter
durch die Straßen. Meine Nase ist rot. Der Hals tut weh.
Ich bin stark
erkältet, aber es macht mir nichts aus. Ich will jetzt noch nicht nach Hause.
Auch wenn es
wirklich ziemlich kalt ist.
Mein Blick fällt
auf den örtlichen Park – vielleicht sollte ich noch eine Runde spazieren gehen?
Solange ich in Bewegung bin, kann mir wenigstens nicht zu kalt
werden.
Das schlimme ist ja
ohnehin nur, dass ich keine ordentliche Jacke im Schrank habe. Das wollte ich
eigentlich schon längst regeln, aber dann kam so viel dazwischen...
Tja, in der Schule entgeht
mir nichts, aber leider entgeht mir dafür eine Menge, was mein normales Leben
angeht.
Es ist traurig.
Als ich in den Park
laufe, fällt mir erst einmal auf, wie wenige Leute unterwegs sind. Die meisten
sind nur in der Stadt – noch die letzten Geschenke besorgen und dann wieder
nach Hause, wo es warm ist.
Hier unterwegs sind
nur die, die Hunde haben und daher raus müssen und ein paar wenige, den Wettern
trotzende Liebespaare, die scheinbar denken, das hier sei irgendwie
romantisch…okay, vielleicht ist es das ja, aber ich finde es dennoch
bescheuert.
Was soll denn daran
schön sein? Ich verstehe es nicht.
Ein Spaziergang nur
zum Spaß bei dieser Eiseskälte…
Ich trotte weiter
vor mich hin – langsam wird es wirklich richtig kalt – und komme an einer Bank
an, auf der irgendein armer Irrer mit Mütze sitzt und wahrscheinlich schon mit
dem Hintern festgefroren ist.
Ich muss mir ein
Grinsen verkneifen, doch scheine ich daneben zu liegen – er kann aufstehen. Und
das tut er auch, als sein Hund plötzlich aus einem Gebüsch geschossen kommt.
Woher ich weiß,
dass es seiner ist?
…weil ich ihn
erkannt habe.
Es sind Castiel und
sein Monster von einem Hund, Demon.
Unwillkürlich,
trete ich einige Schritte zurück, doch es ist zu spät. Er hat sich bereits
umgedreht und in meine Richtung bewegt…wodurch er mich bemerkt hat.
„Oh…“, meint er,
als er mich erkennt. Dann jedoch, ziert das altbekannte, schiefe Grinsen sein
Gesicht, das ich nun schon so gut kenne. „Hey, Streber, solltest du nicht
lieber zu Hause sein und lernen? Oder dich aufwärmen – du bist da ein bisschen
rot um die Nase. Sieht nicht gesund aus.“, meint er sarkastisch und zieht
skeptisch eine Augenbraue nach oben, als er mich betrachtet.
Wie aufs Stichwort,
kann ich ein Niesen nicht zurückhalten, was sich direkt in einen hysterischen
Hust-Anfall umwandelt, nach dem ich beinahe auch noch ersticke und es geht
einfach nicht noch erniedrigender.
Ich kriege kaum
mit, was um mich geschieht, nur, dass ich höllisch brennende Schmerzen in der
Kehle habe und ich glaube, ich kann mir das Sprechen für heute so ziemlich
sparen…genauso wie das Atmen.
Geht es vielleicht
noch peinlicher? Ich meine, so ein Anfall, direkt vor Castiel.
Als ich wieder
halbwegs bei Besinnung bin, spüre ich eine Hand auf meinem Rücken und eine an
meiner Taille. Jemand steht direkt vor mir – oder eher um mich herum, da seine
Arme mich praktisch komplett umschließen.
Die Wärme tut echt
gut.
Als ich hochsehe,
trete ich jedoch einen Schritt zurück, heraus aus der wohligen Wärme und der
Berührung.
Mein Gegenüber
mustert mich noch ein wenig eindringlicher als zuvor. „Sag mal, alles klar bei
dir? Willst du sterben, oder warum bist du in deinem Zustand draußen? Also,
wenn du Suizid gefährdet bist, hättest du mir das auch schon lange sagen können
– echt jetzt, ich hätte dir doch geholfen.“, witzelt er…hoffe ich.
Na vielen Dank
auch.
„Nein. Geht
schon…“, krächze ich ihm entgegen und drehe mich um.
Doch weit komme ich
nicht, weil ich auch schon wieder zwei Arme spüre – diesmal liegen sie beide
auf meiner Taille und ziehen mich ein Stück zurück. Und dann spüre ich etwas
Warmes um meine Schultern. „Hey, was soll das…?“, frage ich, angestrengt durch
meine angeschlagene Stimme.
Als ich mich ein
bisschen umdrehe, sehe ich was die Wärme auslöst. Ein Mantel.
Besser gesagt: Castiels Mantel.
Der jetzt über
meinen Schultern hängt.
„Bist du
wahnsinnig…? Du kannst doch nicht…in der Kälte ohne Mantel rumrennen…?“ Oh man,
meine Stimme wird mich morgen sowas von umbringen.
„Passt schon. Ich
bring dich heim – du wohnst ja nicht weit von hier, wenn ich mich recht
erinnere. Also bring ich dich einfach und nehm meine Jacke wieder mit, wenn ich
dich abgesetzt hab. Einfache Sache. Ist ja nicht so, als wär ich aus Zucker.
Und im Gegensatz zu dir bin ich gesund und nicht kurz vorm Verrecken.“, stellt
er knapp fest. „Außerdem hab ich ja noch meinen Pullover und die Mütze.“
Um der weiteren
Diskussion zu entgehen und einfach, weil ich sonst vielleicht zugeben müsste,
dass er irgendwie Recht hat – er wird nämlich so gut wie nie wirklich krank,
auch wenn er oft fehlt, also würde er das schon aushalten –, gehe ich also
weiter.
Er sieht es
offenbar als Einverständnis an und folgt.
Nach nur wenigen
Metern bricht er dann das Schweigen, das zwischen uns eingetreten war. „Also,
was machst du nun hier?“
„…spazieren…“,
antworte ich wahrheitsgemäß und kurz angebunden.
Ja, meine Stimme
wird mich morgen definitiv umbringen.
„Ja klar, tolle
Freizeitbeschäftigung. Besonders bei diesem unglaublich sonnigen Wetter und den nahezu paradiesischen
Temperaturen.“, gibt er sarkastisch zurück.
„Wollte…einfach mal
raus…“
Streich
morgen…meine Stimme bringt mich jetzt schon um.
„Achso…naja, bei
deiner Schwester würde ich auch flüchten. Selbst wenn‘s draußen Säure regnen
würde und ich keinen Schirm hätte – das Weib ist wahrscheinlich immer noch ein
bisschen ätzender.“, stichelt er und wartet wohl auf eine Rektion meinerseits.
Wartet
wahrscheinlich darauf, dass ich sie in Schutz nehme. Wie immer.
„…“
„Was denn? Keine
Reaktion? Keine Verteidigung ihr gegenüber? Ich bin fast sprachlos.“, spottet
er.
Doch ich bleibe
weiter stumm und starre derweil vor mich hin.
Ich will eigentlich
schon etwas sagen, aber ich wüsste gleichzeitig auch nicht, was genau das sein
sollte. Recht hat er ja schon irgendwie.
Zumal ich gerade
wirklich nicht gut auf sie zu sprechen bin – wie gesagt, mein momentaner Ärger
geht immerhin auf ihr Konto.
Als wir nach
einigen weiteren Momenten, in denen wir einfach nur noch schwiegen, endlich vor
meiner Einfahrt stehen, sehe ich hinauf. Ich will nicht hinein gehen.
Dann wendet er sich
schließlich doch noch einmal an mich. „Hab übrigens gehört, ihr fahrt über
Weihnachten auf die Bahamas.“
Ich sehe ihn
überrascht an. „…wo…her…?“
„Woher?“, wiederholt
er mich. „Woher nicht, wäre wohl die bessere Frage – deine Schwester prahlt
doch schon seit Wochen damit rum.“
Wieder gebe ich keine Antwort. Nicke nur stumm und wie in Zeitlupe.
Wieder gebe ich keine Antwort. Nicke nur stumm und wie in Zeitlupe.
„…ich…“, beginne
ich und muss beinahe wieder husten, unterdrücke den Drang jedoch.
„Was?“, hakt er
nach.
„…ich…nicht…“,
wiederhole ich – bzw. vervollständige ich es diesmal.
„Wie ‚ich nicht‘?
Was denn? Die Reise?“
Ich nicke erneut.
„Du fährst also nicht mit?“, fragt er und zieht wieder eine Augenbraue hoch. „Freiwillig?“
„Du fährst also nicht mit?“, fragt er und zieht wieder eine Augenbraue hoch. „Freiwillig?“
Die Frage
überrascht mich irgendwie. Was interessiert es ihn? Ich sehe ihn jedoch zur
Antwort mit einem Blick an, der so viel aussagt wie: ‚Was denkst du denn?‘
Er nickt langsam.
„Ist dein Hausmonster wieder schuld?“
Da ich mir denken
kann, wen er meint, nicke ich wiederholt und ziehe dann langsam die Jacke von
meinen Schultern, um sie ihm zurückzugeben.
Sein Hund ist
komischerweise die ganze Zeit nur still neben uns her getrottet. Er ist weitaus
disziplinierter, als ich immer dachte.
Als er die Jacke
von mir entgegennimmt und sie sich selbst wieder überzieht, drehe ich mich
bereits zu Seite, um den Weg zum Haus zu beschreiten.
Bis ich noch einmal
seine Stimme höre, die mich zum Halten bewegt. „Hey, warte mal…“
Ich drehe mich um
und sehe ihn fragend an.
„Ich bin dieses
Jahr auch allein, weil meine Eltern irgendwo in Amerika festsitzen, wegen einem
Schneesturm und Lysander bei seinen Eltern auf dem Land ist. Wenn du Bock hast,
kannst du vorbei kommen. Waffenstillstand an Weihnachten, sozusagen.“ Nun
grinst er wieder frech. „Dann musst du wenigstens nicht allein Zuhause hocken
und Trübsal blasen.“
Ich kann ihn zur
Antwort nur anstarren. Meine Stimme ist nun komplett weg – das hat er
allerdings auch gemerkt, würde ich sagen.
„Du musst nicht
antworten, oder so. Komm einfach, oder komme nicht – deine Sache. Meine Adresse
hast du ja.“, sind seine letzten Worte, ehe er sich umdreht.
Und ich weiß nur
noch, dass ich da stand. Viele Minuten. Und es mir am nächsten Tag noch
schlechter ging.
Weil ich die ganze
Zeit denken musste, wie verlockend sein Angebot doch war…
Am Ende bin ich…nicht gegangen.
Ich wünschte jedoch, ich hätte es getan – genau genommen,
wollte ich auch, aber dann hatte ich Angst.
Doch wenn ich gegangen wäre, wäre vielleicht alles anders
geworden.
Dann hätte sich für mich vielleicht früher etwas
geändert, aber jetzt werde ich es wohl nie mehr erfahren.
Schade.
Aber ich habe ihn jetzt.
Jetzt gehört er mir und so auch meine Zukunft.
Mein Leben hat sich verändert und so wie es jetzt ist,
würde ich es auch niemals eintauschen wollen.
Also hatte es zumindest ein Gutes.
Wenn ich auch einmal einen falschen Weg gewählt haben
mag, dann weiß ich das nicht, da ich es nicht anders kenne und auch wenn ich
meine Vergangenheit so nicht verändern kann, so weiß ich doch…
Dass die Wege die
ich bisher gewählt habe, die Richtigen waren.