Nathaniel Paine
Er steht da, sieht sich die Szenerie an, die sich ihm bietet, mit der Waffe noch in der Hand, die auf den Boden gerichtet ist.
Und mir fällt, absurder Weise, ein Stein vom Herzen.
Ich weiß, es ist unglaublich übertrieben, aber ich fühle mich, als würde ich gleich anfangen zu weinen.
Warum? Ich weiß es nicht.
Vielleicht, weil ich mich so freue, ihn zu sehen.
Vielleicht, weil ich so erleichtert bin, dass es ihm gut geht.
Vielleicht, weil ich so glücklich bin, dass er wieder zu mir zurückgekehrt ist.
Aber eigentlich ist es egal, wieso. Denn mein Vater steht immer noch vor mir.
Er ist hier, aber die Situation hat sich nur geringfügig geändert.
Sobald mein Vater sich gefangen hat, greift er wieder nach meinem Arm.
„Hey!“, höre ich den Ruf von der Seite. „Lassen Sie ihn los, Sie alter Sack. Wer sind Sie überhaupt?“
Er klingt verwirrt. Aber irgendwie ist die Szene für ihn wahrscheinlich auch weniger verständlich.
„Was denn? Ist das einer deiner geisteskranken Patienten?“, fragt er belustigt und sieht Castiel herausfordernd an.
„Lassen Sie ihn gefälligst los.“ Diesmal klingt er weder verwirrt, noch erweckt er den Anschein von Wut.
Im Gegenteil – er ist alarmierend ruhig.
Und Gott weiß, dass das eigentlich kein so gutes Zeichen ist.
Er tritt langsam auf den Schreibtisch und uns beide zu. Dabei lässt er meinen Vater aber keine Sekunde lang aus den Augen.
Auch mein Vater sieht ihn an, aber eher so, als würde er versuchen herauszufinden, mit wem er es hier zu tun hat – und zu was er fähig sein könnte.
Was soll ich jetzt tun? Einfach stehen bleiben?
Warten? Irgendwie fühle ich mich fehl am Platz…
„Ich habe gefragt, wer das ist.“
Die Frage kam von meinem Vater. Und offenbar war sie an mich gerichtet.
Es dauert einen Moment, ehe ich reagiere. „Das…das ist…er ist…“, stammle ich und schüttle leicht den Kopf, um meine verwirrten Gedanken noch einmal zu ordnen.
Diesmal klappt es leider nicht.
Dann fängt er unverwandt an, mich zu schütteln, wodurch meine Brille zu Boden fällt. „Sprich gefälligst ordentlich und antworte!“
Mir wird irgendwie schlecht…
Ich höre nur eine Stimme im Hintergrund. „Was zum Teufel soll das?!“
Dann spüre ich auch schon, wie ein Arm um meine Taille geschlungen wird und ich nach hinten von meinem Vater weggezogen werde.
Direkt gegen eine starke, warme Brust.
Ich weiß nicht, ob ich mich nun schlecht fühlen, oder schämen sollte, weil ich so denke…aber ich bin irgendwie froh, jetzt in dieser Lage zu sein.
Es beruhigt mein aufgewühltes Gemüt.
Er beruhigt mich.
Weswegen ich meinen Kopf leicht in den Nacken lege, um mich mit dem Hinterkopf an ihn lehnen zu können.
Mir dreht sich alles. Das Schütteln war keine so gute Idee – ich bin schon verwirrt genug.
„Wer bist du?! Misch dich hier gefälligst nicht ein!“, zickt mein Vater ihn an.
Armer Castiel…andererseits scheint ihm das sehr viel weniger auszumachen, als mir.
Aber wen wundert das auch schon?
„Ich bin niemand der Sie etwas kümmern sollte. Verschwinden Sie einfach aus dieser Praxis, dann sehen wir von einer Anzeige wegen Hausfriedenbruch ab.“
Castiel ist wirklich bewundernswert.
Er hat gar keine Angst vor ihm…
Dieser letzte Gedanke, hätte mich beinahe zum Lachen gebracht. Immerhin ist er Castiel – warum sollte er Angst vor meinem Vater haben?
Das wäre…lächerlich.
„Ach ja? Und was hast du hier bitte zu melden, du Vogel?“, fährt mein Vater ihn an.
Doch es prallt einfach an ihm ab.
Plötzlich legt sich ein zweiter Arm um meinen Köper und ich werde von hinten in eine innige Umarmung gezogen.
Gegen die leichte Röte die mir nun ins Gesicht schießt, kann ich leider nichts tun.
Nun sieht mein Vater jedoch etwas interessierter aus.
Oh Gott, was er jetzt wohl denkt… Egal! Was interessiert es mich schon, was er denkt?
Aber im Ernst…wie sieht das wohl gerade aus?
Mein Vater sieht mich und Castiel prüfend an – dabei gleitet sein Blick über mein, wohl mittlerweile tiefrotes, Gesicht, Castiels Arme, die um meine Schulter und meine Taille drapiert sind und seinen Kopf, der auf meiner Schulter liegt.
Und plötzlich wird sein Blick überrascht. Wissend.
Als wäre ihm gerade ein Licht aufgegangen – was verwunderlich ist, da ich glaube, es ist meist finster in seinem Oberstübchen…wow, das ist das schlimmste, das ich je über ihn gedacht habe, obwohl ich es schon immer irgendwie dachte.
Warum kann ich ihn plötzlich beleidigen? Als wäre ich stärker geworden, seit Castiel wieder in mein Leben getreten ist…
Aber das ist Blödsinn…oder nicht?
Ein seltsames, hohles und sehr kaltes Lachen, wie ich es nur von meinem Vater kenne, holt mich zurück aus meinen Gedanken. „Also, das ist jetzt wirklich mal etwas, dass ich nicht erwartet hätte – wobei es doch irgendwie nur absehbar war. Er ist also dein Lover. Wie kann man nur so tief sinken? Eine Affäre mit einem Patienten – dir ist klar, dass das verboten ist?“, meint er höhnisch.
Nun lacht er mich auch noch aus.
Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.
Ich fühle mich zutiefst beleidigt. Irgendwie herabgesetzt.
Ich fasse es nicht, wie er es schaffen kann, dass ich mich nach nur wenigen Worten so mies fühle.
Aber Castiel schlingt seine Arme nur noch enger um mich; drückt mich noch fester.
„Nein, Sie Vollidiot. Er ist mein fester Freund – mein Verlobter. Ich habe ein Stück mitgehört. Tut mir sehr leid, aber er steht leider nicht zur Verfügung, da er bereits mir gehört – unter Anderem bin ich übrigens kein Patient, sondern ein FBI-Agent. Ich war nur hier, um ihn abzuholen.“ Wie um das Gesagte zu unterstreichen, drückt er mir von hinten einen lasziven, kurzen Kuss auf den Hals.
Und…Moment…was hat er gerade gesagt? Verlobt? Ist der auf Drogen – ich hoffe es für ihn!
…aber ich kann auch nichts dagegen machen, dass es mir irgendwie gefällt, es aus seinem Mund zu hören.
Und ich könnte mich dafür schlagen. Er hat es doch nur so gesagt….okay Nathaniel, konzentrier dich mal wieder auf das Wesentliche!
Ich kann nur aus dem Augenwinkel erkennen, wie er meinen Vater während der ganzen Zeit fixiert.
Dieser jedoch, sieht ihn nur an und wirkt von Sekunde zu Sekunde wütender. Als würde er Castiel gleich den Kopf abreißen wollen.
Doch dieser zeigt sich weiterhin unbeeindruckt. „Und versuchen Sie gar nicht erst, hier noch irgendetwas reißen zu wollen. Lassen Sie sich nie wieder in der Nähe meines Geliebten blicken, oder Sie werden es bereuen.“, sagt er und zieht seine Waffe aus dem Holster an seiner Hüfte.
Irgendwie ist es gar nicht so still hier, wie es den Eindruck macht.
Kommt es mir nur so vor, oder ist die Stimmung gerade endgültig gekippt?
Ich drehe mich leicht zur Seite und erkenne eine Art Killerinstinkt in Castiels Augen – ich hoffe ehrlich gesagt, ich irre mich dabei.
Okay….okay…was ist hier los?
Was geht hier gerade vor sich?
Ich meine, wann genau ist die Spannung zwischen diesen beiden Spinnern entstanden? Ich habe das Gefühl, hier kracht es gleich gewaltig, wenn ich nichts tue…aber was sollte ich schon tun?
Irgendwie entgleitet mir das gerade alles…na gut, es entgleitet mir bereits seit einiger Zeit.
Aber darum geht es jetzt nicht. Ich muss das hier langsam mal stoppen!
„Hey…!“, sage ich. Allerdings sehr schwach. Die beiden achten gar nicht auf dich – und die Atmosphäre hier drin scheint Funken zu sprühen.
Was ist nur los mit diesen beiden?!
Ich atme kurz durch und beginne noch einmal – diesmal viel lauter. „Hey!“
Nun ist mir ihre Aufmerksamkeit sicher.
„O…okay, das reicht! Bitte hört auf! Vater – verschwinde bitte einfach. Castiel…beruhige dich und steck die Waffe wieder weg.“, stelle ich mit Nachdruck klar – allerdings sehen sie sich weiterhin nur ziemlich…naja, angepisst an und reagieren nicht. „Nun macht schon!“
Wow, das war schon fast geschrien – passiert mir eigentlich nie.
So scheinen auch die anderen beiden zu denken, weswegen sie mir nun endlich ihre Aufmerksamkeit schenken und tun, was ich gesagt habe.
Castiel steckt endlich wieder seine Waffe weg – ein Glück – und mein Vater…tja, der macht nur einen abwertenden Laut, mustert uns ein letztes Mal und dreht sich dann, um die Praxis zu verlassen.
Ehe er das jedoch tut, dreht er sich noch einmal um. „Ich weiß wirklich nicht, wie du so werden konntest. Am besten sage ich der Tochter meines Kunden, ich habe gar keinen Sohn. Tze…wäre schließlich keine Lüge. Lebt wohl, Mädchen.“ Wobei er das letzte Wort extra so ausspricht, dass er Castiel beinahe dazu provoziert hätte, seine Waffe wieder zu ziehen.
Ich sehe ihn jedoch nur mahnend an. „Wag es ja nicht.“, flüstere ich ihm zu – warum auch immer ich flüstere.
Aber mein drohender Tonfall scheint zu sitzen. Er gibt sich jedenfalls geschlagen, lässt nun gänzlich von mir ab und macht einen genervten laut, als mein Vater endlich komplett verschwunden ist.
„Na endlich…was zum Teufel war das denn gerade?!“, platzt es plötzlich aus ihm heraus.
„Das fragst du?! Ich sollte das fragen! Wo kommst du auf einmal her? Und wo warst du überhaupt in den letzten zwei Wochen, hä?“, auf einen Schlag, ist all meine Sorge und die ganze Unsicherheit, die ich in den vergangenen Tagen durchlebt habe, wieder da – und sie verwandelt sich gerade in Wut.
Er scheint kurz über meine Fragen nachzudenken, da sich seine Augenbrauen zusammenziehen und er kurz zu Boden sieht. Er scheint verwirrt über das, was ich wissen will. „Warum interessiert dich das?“
…ich glaube, es schlägt dreizehn. „Warum es mich interessiert?“, frage ich ungläubig. „Warum es mich interessiert?! Warum wohl? Weil du bei mir warst, mir etwas erzählt hast das dich ganz offenbar sehr mitgenommen hat – und es wohl immer noch tut – und du dann ganz einfach VERSCHWUNDEN bist! Also wo warst du, Herrgott nochmal?! Außerdem verlange ich eine Erklärung dazu, was das eben für eine Show war, die du vor meinem Vater abgezogen hast!“ Und schon wieder wird meine Stimme laut.
Ich hoffe ernsthaft, das wird nicht zur Gewohnheit.
Er sieht mich jedoch nur wirklich verdutzt an und hebt beschwichtigend die Hände.
„Also gut…ich werde dir alles erklären.“
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