Nathaniel Paine
Was will der denn hier?
Ich habe ihn vor einer Weile mal gesehen.
Auf einem Motorrad sitzend, total cool und lässig, mit einer Zigarette im Mund und seinem Smartphone am Ohr.
Ich habe ihn versehentlich angerempelt, als ich auf dem Marktplatz war…ich hatte ihn die ganze Zeit angestarrt und dann ist beim Zusammenstoß, auch noch meine Geldbörse runtergefallen und er hat meinen Namen gesehen, weil es zu seinen Füßen lag und er es für mich aufgehoben hat…dabei hat er mich kurz angesehen und dieses schiefe Grinsen, lag dabei auf seinen Lippen.
Aber ist er es wirklich?
In diesem Moment, auf der Straße, habe ich nicht wirklich darauf geachtet…war mehr davon fasziniert, wie frei er zu sein schien, auch wenn ich nicht weiß, wieso. Doch jetzt bin ich mir sicher, dass er es ist…oder?
Aber…er würde es doch niemals wagen, die Praxis von einem Psychiater zu besuchen – geschweige denn eine Praxis, in der ich der Psychiater bin.
Und er hat meinen Namen gesehen, wieso hätte er mich also damals anlächeln sollen, wenn er wirklich er wäre?
Das kann nicht sein, ich sehe Gespenster…
„Also, Damon…warum sind Sie heute hier?“, frage ich mit einem Seufzen, als ich bemerke, dass ich ihn wohl schon ewig einfach nur anstarre und er schon ungeduldig zu werden scheint.
„Weil ich vielleicht Hilfe brauche. Von…Ihnen.“, meint er, wobei er das ‚Hilfe‘, genauso wie das ‚Ihnen‘, total seltsam betont.
Das ‚Ihnen‘, klingt, als hätte er ein Problem damit, mich förmlich anzusprechen, was auf ein Autoritätsproblem hindeutet, wohingegen das ‚Hilfe‘, irgendwie leicht…pervers, oder zumindest eindeutig zweideutig, klingt.
Ich weiß auch nicht, wieso…aber ich kann mich ja auch irren, es ist immerhin erst die erste Sitzung und wir haben ja kaum fünf Sätze miteinander gewechselt…
„Und bei was genau?“, frage ich nun, ein wenig vorsichtig.
„Ach, eben solchen Sachen…wegen denen man für gewöhnlich zum Psychiater geht.“
„Da gibt es viele. Wieso setzen wir uns nicht erst und reden ein bisschen?“, schlage ich vor.
Wir setzen uns also gegenüber – ich im Sessel und er auf dem Sofa, das für die Patienten dort steht.
Aber egal, wie ich ihn auch betrachte – er kommt mir nicht nur unglaublich bekannt vor, sondern auch wenn er nur dort sitzt, gibt er eine unglaublich gefährliche Aura ab.
Wie man es auch dreht und wendet – er sieht einfach nicht aus, wie jemand, der hier wirklich sitzt, um sich von mir helfen zu lassen. Zumindest nicht auf diese Weise… Nanu?
Habe ich das gerade gedacht?
Auf welche Weise, sollte ich ihm denn sonst helfen können…? Ich bin ja auch kein Mediziner, also bei was denn sonst?
Was für ein seltsamer Gedanke…
Ich schüttle den Gedanken schnell ab und sehe ihm in die Augen. „Also Damon…worüber, möchten Sie zuerst sprechen?“
„Keine Ahnung. Worüber wollen Sie denn sprechen?“, sagt er und da ist es schon wieder.
Diese komisch Betonung…wieso stört mich das nur so? Sonst interessiert mich sowas doch auch nicht…
„Es geht hier nicht um mich, sondern um Sie. Also?“, antworte ich so ruhig, wie es geht.
„Na gut, warum nicht über Träume?“, erwidert er.
„‘Träume‘?“, frage ich nach. Welche Träume?
„Na, Sie wissen schon. Wenn man schläft, dann hat man Träume. Sie nicht?“, meint er, mit einem weiteren, frechen, schiefen Grinsen.
Mal im Ernst, ich kenne dieses spezielle Grinsen irgendwoher – und das nicht nur, von dem Treffen auf dem Marktplatz.
„Doch, ich auch. Jeder Mensch träumt – aber nicht jeder erinnert sich daran. Wenn wir nicht träumen würden, dann würde das heißen, unser Hirn würde nicht mehr Funktionieren und dann wären wir tot. Was wir allerdings träumen, das hängt von der träumenden Person ab.“, erkläre ich ihm.
„Ich weiß.", meint er nur knapp, mit einem überheblichen Funkeln in seinen Onyx-farbenen Augen.
Schöne Augen...setwas sieht man nicht oft. Und doch, kommen sie mir so bekannt vor... Thema! Zurück zum Thema! „Und über was genau, wollen sie dann sprechen? Ist denn irgendetwas Besonderes vorgefallen? In Ihren Träumen, meine ich.“, frage ich nun interessiert und versuche meine Gedanken einfach abzustellen.
„Nunja, Sie wissen schon. Wenn man manchmal träumt, was man gerne tun würde, es aber nicht darf. Sowas träume ich immer.“
„Also…träumen Sie von Dingen, nach denen Sie sich sehnen, die Sie aber nicht tun dürfen? Wieso, wenn ich fragen darf? Also, wieso dürfen Sie denn nicht tun, was Sie tun wollen? Worum handelt es sich denn genau?“, frage ich, habe aber ein deutlich unangenehmes Gefühl, bei der ganzen Sache. Will er vielleicht jemanden töten?
„Wollen Sie das wirklich wissen?“
Nein. „Ja.“, sage ich.
„Naja, es ist wirklich schlimm…böse.“, meint er und betont das Wort ‚böse‘, dermaßen unanständig, das ich gerade lieber aus dem Fenster springen würde, als es mir anzuhören, aber ich gebe nicht auf.
Oh Nein, ich habe noch nie aufgegeben, bevor ich bei einem Sanatorium anrufen musste!
...oder beim Notruf...oder der Polizei...
„Sagen Sie es mir. Ich habe eine Schweigepflicht, also kann ich nichts tun, auch wenn es Kriminell sein sollte – vor allem, da ich von Ihrer Ausdrucksweise her davon ausgehe, dass Sie wissen, das, was auch immer Sie wollen, falsch ist und Sie es nicht getan haben, sondern nur davon träumen.“, meine ich, um ihn zum Reden zu verleiten…auch wenn ich das gerade so gar nicht will.
Aber anders, kann ich ihm nicht helfen und das, möchte ich tatsächlich.
„Wenn Sie sich sicher sind…es geht darum, dass ich gerne Dinge tun würde… Dinge, mit einer anderen Person – einer ganz besonderen Person. Diese Person, macht mich immer wahnsinnig, egal, wann ich sie sehe. Ich würde am liebsten über sie herfallen. Und in meinen Träumen…lasse ich meinen Fantasien, einfach freien Lauf, wissen Sie?“, erzählt er.
Ohjee…wieso immer ich?
Muss ich mir das, jetzt wirklich anhören?
Irgendwie, weiß ich was kommt. Ich nicke einfach, um ihm zu signalisieren, dass ich verstehe und er weiter sprechen solle, weil ich keinen Ton herausbekommen würde, wenn ich es versuchen würde – das weiß ich jetzt schon.
Ich war noch nie gut bei diesem Thema.
Er lehnt sich ein bisschen nach vorn, auf den kleinen Tisch, der uns noch voneinander trennt – ein Fakt, über den ich gerade mehr als glücklich bin – aus seiner breitbeinigen Sitzposition heraus und sieht mich eindringlich an, was bei mir eine großflächige Gänsehaut auslöst.
„Gut, also…in meinen Träumen, bekomme ich immer was ich will…was auch immer ich will. Verstehen Sie? Ich kann tun und lassen, was auch immer ich will…aber diese Person, würde das in der Realität nicht gutheißen.“, sagt er in einem leisen, irgendwie gruseligen Tonfall, der ihn komplett irre wirken lässt.
Ich weiß, ich werde meine nächste Frage, sowas von bereuen. „Was tun Sie denn genau...mit der Person?“, frage ich unsicher und will es wieder nicht wirklich wissen…nein, das ist falsch.
Ich will es überhaupt nicht wissen.
„Können Sie sich das nicht denken?“, fragt er und steht langsam auf, um den kleinen Tisch zu umgehen und direkt neben mir, auf der Lehne meines – gar nicht so großen – Sessels, Platz zu nehmen.
Nur mit größter Mühe, bleibe ich ruhig sitzen, während er mir so nahe ist, wie kein anderer Patient, je zuvor.
Ich nicke wieder.
„Ich streichle ihn…bringe ihn um den Verstand. Küsse…lecke. Solche Dinge.“, sagt er mit einer solchen Intensität, das ich schlucken muss.
Dann nimmt er sich auch noch heraus, mir mit einem Finger über meinen Schenkel zu streicheln und frech zu grinsen. Dann beugt er sich vor, – wahrscheinlich, weil er gemerkt hat, wie eingeschüchtert ich bereits bin und das ich nicht wirklich etwas dagegen tun kann – und raunt mir die nächsten Worte direkt ins Ohr, wobei er so anzüglich klingt, als wäre ich sein Geliebter, oder so etwas…
„Ich will, dass er mich anfleht ihn zu nehmen, dafür bearbeite ich ihn so lange, bis er ganz willig und feucht ist. Ich will ihn meinen Namen schreien hören.“
Dann entfernt er sich einfach, ohne viel Federlesen, wieder von mir und geht zur Tür.
„…und um wen genau...handelt es sich? Ich meine…ist es vielleicht Ihr Chef, oder ein Verwandter, oder zumindest etwas in dieser Richtung?“, frage ich noch, erneut unsicher und wieder, will ich es nicht wirklich hören.
Ich weiß nicht wieso, aber mittlerweile, weiß ich wirklich, wer es ist, auch wenn ich es kaum glauben kann.
Wieso er?
Wieso ich?
Wieso jetzt?
Damals gab es keinerlei Anzeichen…für so etwas…
„Es geht um dich.“, ist alles was er dazu sagt, bevor er mit den Worten „Bis zur nächsten Sitzung.“, in denen eindeutig ein schadenfrohes Grinsen liegt, einfach den Raum verlässt und mich, immer noch total schockiert und leicht zitternd, allein lässt.
Oh mein Gott…er war es doch.
Er war es wirklich.
Jetzt bin ich mir mehr als sicher…aber nochmal: Wieso?
Wieso passiert mir immer so etwas?
Wieso habe ich nur immer so ein Pech?
…wieso bin ich nicht einfach Kaminkehrer geworden?
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