Castiel Voltaire
„Weißt du eigentlich, das du erst in-“ Ich sehe auf meine Armbanduhr. „einer viertel Stunde hättest hier sein sollen?“, meckere ich EJ leise an, nachdem ich sie mit mir aus dem Schlafzimmer gezerrt und die Tür hinter uns verschlossen habe.
Diese lacht jedoch nur kurz auf und sieht mich wissend an. „Klar. Weil ich in einer Viertelstunde auch sicherlich in ein Kaffeekränzchen geplatzt wäre – im Gegenteil, ich wünschte ich wäre erst in einer Viertelstunde hier gewesen. Da hätte ich sicher mehr gesehen…“, meint sie klagend, verdreht die Augen und sieht dann seltsam an mir herab. „…wenn wir schon dabei sind, könntest du nicht auch die Hose ausziehen? Das wäre echt cool. Du weißt schon, geteiltes Leid ist halbes Leid und so - ihn hab ich ja auch gesehen…“
…echt jetzt? „Nein. Und ich dachte, wir hätten das geklärt.“, mache ich ihr, leicht entsetzt, klar.
Aber sie verdreht lediglich ein weiteres Mal die Augen. „Ja, ja – wir sind nur Freunde und bla bla bla. Ich will ja nicht mit dir vögeln, oder so – nur mal gucken. Ist doch wohl kein Verbrechen…“
„EJ!“, rufe ich aus, noch eine Stufe entsetzter, ehe ich meine Augen kurz schließe und mich irgendwie versuche zu sammeln. „Also gut, Themenwechsel. Was willst du eigentlich hier?“
„Oh, stimmt ja. Es hatte ja einen Grund das ich her kam – hätte ich bei der ganzen Show vorhin beinahe vergessen…“
Die braucht dringend ‘nen Freund. Ganz dringend. Das wird nämlich langsam traurig – und gruselig.
Aber hauptsächlich traurig.
Während ich noch über ihr Leben in den letzten Wochen nachdenke, zieht sie etwas aus einer ihrer Manteltaschen und wedelt dann vor meiner Nase damit herum. „Ich hab hier was für dich.“, trällert sie gut gelaunt und grinsend.
Sie legt mir das kleine Etwas in die Hand die ich ihr entgegenstrecke. Ich öffne es und sehe es ungläubig an. „Ist das das, was ich denke das es ist?“
„Allerdings. Und wie es das ist.“, bestätigt sie freudig. „Sieht ganz genauso aus, wie du es mir beschrieben hast. Und die Inschrift stimmt ebenfalls – hab ich direkt machen lassen, schließlich hattest du mir das Geld dafür gegeben, damit ich meine Kontakte spielen lasse und mich ein bisschen umsehe und tada! Ich kenne dich. Ich wusste, du willst es.“, meint sie und zwinkert mir zu.
Sprachlos betrachte ich den Gegenstand in meiner Hand und sehe mir alles noch ein bisschen genauer an. „Wow…aber ich weiß doch gar nicht, ob ich das echt durchziehen kann. Das wäre so…falsch. Viel zu früh, zu überstürzt, zu…verrückt. Er würde nie zustimmen…“
„Und das sagt dir was? Als ich hier ankam, wirkte es nicht gerade so als sei er irgendwie abgeneigt.“
„Vom Sex vielleicht nicht. Wir lieben uns…aber so weit zu gehen?“
„Genau deshalb wirst du es tun – weil es verrückt ist. Du wirst ihm einfach keine Chance geben, abzulehnen. Ich meine, wie lange kennt ihr euch schon?“
„Seit dem Kindergarten. 21 Jahre, ungefähr.“, antworte ich wahrheitsgemäß.
„Und seit wann liebst du ihn?“, fragt sie mich erneut.
Doch diesmal kann ich nicht so schnell antworten – sicher, ich kenne die Antwort. Aber das wäre mir etwas peinlich. „Keine Ahnung…“, entgegne ich daher nur ausweichend.
„Nein, so kommst du mir nicht davon. Ich kenne dich schon viel zu gut, um eine falsche Antwort zu erkennen. Du lügst – nur wieso lügst du. Also Castiel, wieso lügst du mich wegen einer solch einfachen Frage an? Wie lange liebst du ihn? Acht Jahre? Zehn vielleicht?“
„Zwanzig!“, falle ich ihr genervt und laut ins Wort, weswegen ich sofort in Richtung Schlafzimmertür sehe, um zu prüfen ob sie auch wirklich noch verschlossen ist.
Ja, ich habe ihr erzählt, dass ich ihn schon lange liebe. Aber wie lange, habe ich bisher für mich behalten.
Aus gutem Grund, wie jetzt offensichtlich sein sollte…
Sie starrt mich mit großen Augen an und sagt…nichts. Genau. Die große Emily Joe Hastings ist still. Sprachlos, offensichtlich.
Ich bin am Arsch. Sowas von.
„Zwanzig…?“, fragt sie ungläubig. „Da warst du etwa fünf Jahre alt.“
„Ich war fast sechs…“, korrigiere ich sie kleinlaut und sehe nach unten.
„Egal, du warst ein kleines Kind. Ich dachte, du hättest mal eine Freundin gehabt und warst dann total sauer auf ihn, weil du dachtest er hätte Augen für sie…“, will sie verwirrt wissen und zieht die Augenbrauen zusammen.
„Klar hatte ich eine Freundin. Aber ich habe sie nie wirklich geliebt. Allerdings habe ich ihr vertraut. Ich dachte, sie wäre nett. Vielleicht könnte sie mich irgendwann von ihm ablenken, aber daraus wurde nichts. Bis dato hatte er immer sämtliche Mädchen abgelehnt. Jedes –wirklich. Sogar diese Melody, die so vernarrt in ihn war…“
„Melody? Unsere Melody?“
Ich nicke ihr zu, um ihren Verdacht wortlos zu bestätigen.
Sie verzieht daraufhin kurz den Mund, ehe sie ein „Glaub mir, ihr Zustand hat sich nicht verändert.“ einwirft.
Mit einem kurzen Lachen, schüttle ich dazu nur den Kopf und fahre fort. „Jedenfalls hat er die Mädchen nie eines Blickes gewürdigt, was mir dann und wann schon ein bisschen Hoffnung gemacht hat, aber ich wollte damals nichts riskieren. Bis zu diesem Augenblick, waren wir tatsächlich Freunde.“, mache ich ihr klar und trete einen kleinen Schritt zurück. „Jedenfalls geschah dann dieses Debakel mit meiner damaligen Freundin – Debrah…ich dachte wirklich, er hätte etwas von ihr gewollt, weil er oft zu uns gesehen hat und ich schwören könnte, in seinem Blick ein Fünkchen Eifersucht erkannt zu haben, die ihm wahrscheinlich selbst nicht ganz bewusst war. Dann habe ich einfach nur Eins und Eins zusammengezählt. In meinem Wahn dachte ich, er will etwas von ihr und das hat mich einfach…wütend gemacht. Wütend, traurig und vor allem hat es mich verletzt. Ich wusste, ich hätte keine Chance mehr. Also habe ich den kleinen Streit als Chance genutzt, mich von ihm zu distanzieren, ohne dass er zurückblicken, oder mich fragen würde, wieso ich das getan habe. Damit ich endlich von ihm weg komme. Ich habe sogar später das Land verlassen, aber selbst das Meer zwischen uns, hat meine Gefühle für ihn nicht schwinden lassen. Es ist echt zum Kotzen gewesen…“, bricht es aus mir hervor. Das habe ich noch nie jemandem erzählt, glaube ich – zumindest nicht aus diesem Blickwinkel. Die Beweggründe für mein Handeln, meine Gefühle – alles.
Während meines ganzen kleinen, oder auch großen, mehr oder weniger dramatischen Ausfalls, hat meine sonst so freche und schlagfertige Freundin, mich jedoch nur angesehen.
Dann holt sie kurz Luft und sieht mir ernst in die Augen – eine Seltenheit. „Weißt du, Cas…das war mit Sicherheit eine der süßesten Liebeserklärungen die ich je gehört habe – ein Jammer, dass sie nicht für meine Ohren bestimmt war. Du solltest es ihm sagen, nicht mir. Dem, der im Schlafzimmer noch immer auf dich wartet.“, sagt sie mit ruhiger Stimme, ehe ihre Lippen sich erneut zu einem Lächeln verziehen. „Und es ist echt knuffig mit fünf Jahren verliebt zu sein – vor allem dann, wenn es sich so entwickelt. Ich will mir gar nicht ausmalen was mit dir gewesen wäre, wäre er nicht in dich verliebt gewesen…“
Bei ihrem letzten Satz, sehe ich sie geschockt an. Das war bisher immer ein Thema, das ich gerne übergangen habe.
Etwas, über dass ich nie nachdenken wollte.
Sie scheint es wohl zu verstehen und lenkt sofort ein. „Aber gut, dass es nie soweit gekommen ist, dass wir uns darüber Gedanken machen müssten, nicht wahr?“, meint sie in einem aufmunternden Tonfall.
Oh man…
Und genau dann, wenn ich mir denke, dass es nicht seltsamer werden kann, klingelt es plötzlich an der Tür. Oh doch, es kann.
Wer kommt denn jetzt noch?
Überrascht von der Türglocke, schrecke ich auf und vernehme dann auch ein Geräusch aus dem Schlafzimmer, ehe sich dort die Tür öffnet und Nathaniel den Kopf durch den neugewonnenen Spalt schiebt. „Erwartest du etwa noch mehr besuch?“, fragt er, doch als sein Blick auf den weiblichen, bereits anwesenden Gast fällt, wird sein Gesicht sofort feuerrot.
Dieser Schock wird ihm wohl noch eine Weile erhalten bleiben.
Kopfschüttelnd wende ich mich dann doch noch der Tür zu, um sie zu öffnen. Wenn jemand bis hier her kommt, dann kann er nur ungefährlich sein – und muss auch schon einmal zu Besuch gewesen sein.
„Hallo…“, sage ich bereits, als ich noch die Tür aufziehe, ohne zu sehen, wer da steht – bis die Sicht auf jemanden frei wird, den ich heute nun wirklich nicht erwartet hätte. „Lys? Was machst du hier?“, frage ich unseren neuen Besucher irgendwie verwirrt.
Wollte er nicht im Laufe, oder eher gegen Ende der Woche kommen? Er meinte doch, sie hätten keinen Urlaub, also hat er keine Zeit, oder nicht?
„Ich sagte doch, ich komme zu Besuch – das Gebäude steht komplett unter Wasser, weil es einen Rohrbruch an der denkbar schlechtesten Stelle gab und es keiner bemerkt hat.“, erzählt er relativ gediegen und sieht mich dann fragend an. „Hab ich dich nicht angerufen?“
„Nein. Nein, das hast du nicht…“, kläre ich ihn irgendwie entgeistert auf.
Ich weiß, ich sollte es eigentlich mehr als nur gewohnt sein. Aber manchmal überrascht mich seine besondere Version der Vergesslichkeit noch immer.
Zumal er einen sehr seltsamen Beruf hat, wenn man diesen Faktor in die Jobauswahl mit einberechnet…
„Lysander?“, reißt mich nun eine fragende Stimme aus dem Hintergrund aus meinen Gedanken.
Unser aller Augenmerk wandert nun auf den Menschen, der im Türrahmen zu meinem Schlafzimmer steht und uns verwundert ansieht.
„Hallo. Lange nicht gesehen.“, meint mein bester Freund jedoch nur – zeigt ihm jedoch sein seltenes Lächeln.
Lys hatte schon nichts gegen Nathaniel, als er noch dachte ich würde ihn hassen. Er hatte nie Grund dazu – Debrah hatte er nie gemocht und er hat ihr auch nicht vertraut. Also war er immer auf ihrer Seite gewesen.
Irgendwann habe ich ihm dann jedoch von meiner Liebe zu Nate berichtet – von der Angelegenheit mit Debrah natürlich abgesehen.
Er meinte damals nur, er habe es irgendwie vermutet, wollte sich aber nicht einmischen da es ihn ja nichts anginge – er meinte, er wollte warten bis ich selbst zu ihm komme und ihn aufkläre.
Was im Endeffekt ja auch der Fall war.
„Wow, dann sind wir ja jetzt alle versammelt. Castiel, wolltest du Nathaniel nicht etwas fragen?“, mischt sich EJ plötzlich ein und zeigt auf das Kästchen das seit einer Weile in meiner Hand ruht und das zum Glück nicht erkennen lässt, was sich darin befindet.
Ich starre sie geschockt an und wenn ich jetzt irgendetwas im Mund gehabt hätte, hätte ich jetzt wahrscheinlich schon fast gekotzt vor Husten, denn verschluckt hätte ich mich sicher.
Diese miese, fiese, kleine…
Warum ist sie nochmal meine beste Freundin?
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