Adrian King
Als ich langsam den Gang entlangschreite, beginne ich etwas nervös, an meinem schwarzen Haar zu zurren und zu zerren.
Eigentlich sind sie nicht lang – nur knapp bis zur Schulter. Doch ist mein Pony länger als der Rest und das hat auch seinen Grund. Es ist, damit ich das schwarze Bündel kollektiv auf die linke Seite meines Gesichts schieben kann, wo dessen Spitzen dann ziemlich genau an meinem Kinn enden.
Nur leider bleiben sie nie so, wie ich sie will. Verdecken nie die ganze linke Hälfte und das würde nicht einmal reichen.
Ich komme nicht weit mit meinem Versuch, ein wenig…naja, weniger auffällig zu sein, als ich auch schon aus dem Augenwinkel erkenne, dass ich meinem Ziel scheinbar näher komme.
So brauche ich nur noch wenige Schritte, um vor genau der Tür zu stehen, zu der ich sollte.
Nun hilft nur noch Seufzen. Seufzen und einfach abschalten. Es wird schon werden.
Als ich nach dem Türhenkel greife, kann ich schon die Stimmen im Raum hören – nicht die ganze Zeit. Es wurde scheinbar jemand aufgerufen. Hat der Unterricht etwa schon begonnen?
Tja, das wird wohl mal wieder ein sehr guter Anfang werden, aber was soll’s.
Ohne mir große Mühe zu machen, doch noch einmal zu klopfen, trete ich ein – in eine Klasse, die mich erst gar nicht bemerkt.
Und dann anstarrt, als wäre ich ein Auto, das gerade mitten in ihren Hexenzirkel gefahren ist.
Als ich meinen Blick über die verdutzte Menge gleiten lasse, fehlt mir ein Gesicht – das Sonnenblümchen fehlt.
Doch lange kann ich so und so nicht darüber nachdenken, denn ich diesem Moment, stellt sich auch schon ein Mann neben mich, mit chaotisch, zu allen Seiten abstehendem, braunen Haar, einer Brille und einer etwas krummen Nase. „Du…ich glaube, du musst der neue Schüler sein, oder nicht? Warum bist du zu spät?“
Als ich auf die Uhr sehe, fällt es mir das erste Mal auf. Scheinbar geht meine eigene Uhr falsch – und ich habe auf dem Dach zu viel Zeit vertrödelt. Ich bin mindestens zwanzig Minuten zu spät.
„Ich…bin falsch abgebogen“, gebe ich ihm als lasche Entschuldigung.
Und seltsamerweise, scheint es ihn gar nicht zu überraschen und er nickt es einfach ab – der Blonde hatte wohl wirklich recht damit, dass einige bei der Erklärung nicht zugehört haben. Dabei ist die Raumverteilung absolut einfach.
Aber an mir soll es nicht liegen. „Ja. Und nun?“, frage ich daher ablenkend.
„Nun…sollten wir dir erst einmal einen Platz suchen…oder nein, eigentlich solltest du dich zuerst vorstellen…ja, das wäre vielleicht wirklich besser.“
Ein wenig verwirrt, wie?
Ehe ich reagieren kann, greift er bereits nach meinem Arm und zieht mich beinahe mit sich nach vorn, neben das Pult. „Dann sag doch mal, wer du bist und wo du herkommst.“
Als ich die Klasse so ansehe, weiß ich eigentlich absolut nicht, was ich sagen sollte.
Wo ich herkomme? Das will doch ohnehin keiner wirklich wissen.
Was ich gerne tue? Das geht niemanden etwas an.
Wer ich bin…?
Manchmal wüsste ich das selbst gerne.
Ich hole ein bisschen Luft und kratze mich an der Wange. „Also… Ich bin Adrian King“, ist alles was ich sage und bewege mich in dem Moment auch schon auf einen freien Platz zu, von dem ich hoffe, dass er wirklich frei ist und es kein Problem gibt, wenn ich mich dort nun hinsetze.
Er liegt direkt neben einem Mädchen mit violettem Haar.
„Äh, Moment…“, höre ich nur die Stimme des Lehrers – zumindest vermute ich, dass es sich um den Lehrer handelt – und drehe mich noch einmal um. „War das denn schon alles?“, hakt er verwirrt nach.
Ich sehe ihn jedoch nur gleichgültig an und zucke die Achseln. „Ja.“
Es gibt nichts zu sagen; nichts zu erfragen.
Dinge die man über mich wissen sollte, lernt man am besten aus Erfahrung – oder hofft besser darauf, dass man es niemals erfährt.
Es gibt Seiten an mir, die ich selbst hasse. Doch ich kann nichts gegen sie tun.
Und in dem Moment kommt dann auch schon dir Frage, vor der ich mich am meisten drücken wollte. „Willst du uns denn nicht wenigstens sagen, warum du nun hier bist?“
Klar. Weil die meisten wohl nur die Schule wechseln, wenn ihre Eltern einen neuen Job haben.
Oder aus welchen Gründen auch immer. Man wechselt wohl in dem Alter nicht aus Spaß an der Freude.
Aber was soll ich darauf bitte antworten? Das meine Mutter mich hasst?
Weil ich ihr praktisch immer nur im Weg stand?
Weil ich mit einem ihrer Lover ins Bett gegangen bin, mit dem sie sich so viel versprochen hatte?
Klar sage ich ihnen das. Weil sie das auch sicher so viel angeht.
Ein lautes Seufzen bahnt sich seinen Weg ans Tageslicht und ich schließe kurz meine grünen Augen, ehe ich ein „Einfach so“ in den Raum fallen lasse und meine Tasche neben meinem auserkorenen Platz auf den Boden fallen lasse. „Ist der Platz hier noch frei?“
Das Mädchen, das ich hierbei anspreche, sieht mich jedoch nur mit riesigen Augen an – scheint irgendwie nicht, als würde sie noch antworten wollen.
Und dabei fällt es mir auf. Als ich mich an der linken Wange gekratzt habe, müssen meine Haare zur Seite gerutscht sein. Es verstecken zu wollen, war aber ohnehin eine dämliche Idee. Absolut unnütz.
So eine Verzweiflungstat sieht mir eigentlich nicht ähnlich. Aber vielleicht…
„Ja, der Platz ist noch frei“, kommt eine fröhliche Stimme, derweil der anderen Seite.
Es ist der Platz, eine Reihe vor mir, auf der rechten Seite. Also fast neben mir – das erkenne ich, als ich sitze.
Der Junge der es gesagt hat, hat braunes Haar und eine Hose im Camouflage-Stil. Sieht nett aus.
Aber würde ich nicht vögeln wollen. Er ist nicht niedlich – naja, der erste Blick zeigt eigentlich schon, dass er viel härter tut, als er eigentlich ist. Doch so etwas macht mir keinen Spaß.
Ich weiß nicht einmal, ob ich hier irgendwen finden würde, der für diesen Zweck geeignet wäre – und ob ich hier überhaupt jemanden suchen sollte.
Es würde alles nur noch viel schneller kaputt machen.
Den anderen keine weitere Beachtung schenkend, schnicke ich meine Haare wieder ein wenig mehr in die Mitte meines Gesichts zurück. Ich mag es einfach nicht, angestarrt zu werden.
Aus Prinzip.
Mit diesem Gedanken lehne ich mich schnaubend in den Sitz und verschränke die Arme vor der Brust.
So viel zu meinem Prinzip.
Sie scheinen davon jedenfalls nichts zu wissen – andererseits…wie sollten sie auch?
Wieder seufze ich.
Das wird ein langer Tag werden, glaube ich.
Aber vielleicht sollte ich mich wirklich einfach zurücklehnen…
Und möglicherweise auch etwas lernen.