Castiel Voltaire
Wir begaben uns zusammen in seine Wohnung.
Ich habe mir schon gedacht, dass es hier ordentlich sein würde, aber es ist sogar noch sauberer als ich dachte.
Und ich bin mir ziemlich sicher, dass er keine Putzfrau hat.
Dennoch ist es etwas, dass ich von ihm praktisch erwartet hätte.
Er war eben schon immer so.
Wir gehen zusammen durch die Wohnung, zu einem Tisch an dem er mir bedeutet, dass ich mich setzen soll.
Ich tue wie mir geheißen und warte dann ab – er will anscheinend Tee machen.
Ich bin zwar eher ein Kaffee-Trinker, aber Tee ist jetzt vielleicht gar nicht mal schlecht.
Nur ein paar Minuten Später, steht er auch schon mit zwei dampfenden Tassen vor mir.
„Ich hab einen Kamillen-Tee ausgesucht…“, meint er leise und stellt eine Tasse unsicher vor mir ab.
„Danke.“
Als er endlich auch sitzt sehen wir uns an.
Eine unangenehme Stille breitet sich über uns aus.
„Also…“, fängt er an, bricht aber ab.
„Also?“
„Naja…was ist es nun, das du mir erzählen wolltest?“, fragt er zurückhaltend.
Oh man…aber ich habe es so entschieden.
Ich habe ihm gesagt, ich würde es ihm erzählen und dann tue ich es auch.
Ich hole tief Luft und sehe dann nach unten, in die Tasse die vor mir steht.
In der Tasse, in der vor kurzem noch einfaches, heißes Wasser war.
Doch langsam bekommt das Wasser Farbe, die aus dem Teebeutel auszuströmen scheint.
Ich drehe die Tasse ein bisschen in meinen Händen. „Du weißt ja…ich war eine Weile bei der normalen Polizei. Bis ich dann nach Quantico gegangen bin, um den Test für das FBI zu machen.“
„Ja…“
„Ich sollte von vorn anfangen. Ich bin damals…auf der Highschool…mit einem Jungen befreundet gewesen. Genau genommen, war ich sogar kurz mit ihm zusammen, aber es hat nicht funktioniert, da ich noch immer in dich verliebt war. Jedenfalls waren wir trotz allem beste Freunde. Also, eigentlich war er neben Lysander die Person, die mir am nächsten stand. Er hatte ebenfalls den Traum, irgendwann zur Polizei zu gehen.“ Meine Gedanken werden wirr.
Ich mache eine kurze Pause um sie zu ordnen.
Wieder sehe ich in die Tasse.
Beobachte das Wasser, wie es sich langsam bewegt.
Dann spreche ich weiter. „Wir sind direkt nach dem Abschlussjahr zusammen zur Polizeischule gegangen. Wir waren beide sehr schnell fertig. Aber dennoch waren wir nur Neulinge. Wir haben immer versucht, uns zu beweisen, denn wir wussten einfach dass der Beruf das Richtige für uns ist.“, erzähle ich.
Es klingt für ihn wahrscheinlich, als würde ich total abschweifen, daher mischt er sich ein, als ich wieder eine kurze Pause mache. „Was ist dann passiert?“, fragt er vorsichtig.
„Es war noch am Anfang – wir waren schon damals zusammen in Amerika, denn er war halber Amerikaner und wollte immer schon dort hin. Auch zum FBI. Es ging um eine Undercover Sache der DEA – die Drug Enforcement Administration. Sie brauchten Neulinge, die noch nicht so einfach als Polizisten zu erkennen sind – weil Polizisten einfach irgendwann anfangen, offensichtlich Polizisten zu sein. Es war eigentlich als eine kleine Sache geplant, sonst hätten sie Profis dafür ausgewählt, aber die Sache entwickelte sich eben anders als geplant…“
„Was ist denn geschehen?“
„Es sollte ursprünglich nur für ein paar Tage sein und wir dachten beide, dass uns das hilft. Dass wir so mehr Erfahrungen sammeln können. Wir waren überzeugt davon, dass wir das Schaffen können. Nur leider, kam es dann ganz anders. Die Zeit in der wir Undercover waren, wurde immer länger – das war irgendwann kein normaler Auftrag mehr. Viel darf ich dir eigentlich nicht darüber sagen, daher sage ich dir nicht, wo wir damals waren. Aber es ging um einen Drogenhandel. Es war eine neue gefährliche Droge auf den Markt gekommen und wir waren einfach nur da, um herauszufinden wer der Dealer dafür ist. Geplant war, dass wir den Vertrieb eindämmen, indem wir die Marke beschmutzen.“
„Die Marke beschmutzen? Wie geht das?“, kommt es irritiert von meinem Gegenüber.
Stimmt. Es ist wahrscheinlich, dass er davon nicht viel Ahnung hat. „Naja, ich kann es dir so erklären…du trinkst doch gerne Kaffee, oder nicht?“
„Ja, schon.“, antwortet er nur.
„Jetzt stell dir mal vor, du hast einen Laden, in dem du jeden Tag deinen Lieblingskaffee kaufst. Und irgendwann, gehen diesem Laden die Kaffeebohnen aus. Dagegen muss etwas getan werden – sie würden also versuchen, das was sie noch haben so lange zu halten, wie es geht und noch so viel damit zu verdienen, wie sie können. Die würden damit anfangen, den Kaffee zu strecken.“
„Ähm…okay…und dann?“ Er scheint immer noch verwirrt.
„Also, jetzt stell dir doch mal vor, du kommst also in deinen Lieblingsladen, kaufst den Kaffee den du jeden Morgen trinkst und der Preis ist gestiegen – parallel dazu, ist die Qualität aber gesunken, denn der Kaffee schmeckt leicht wässrig. Nun lässt du dir das anfangs noch gefallen, aber mit der Zeit, wird der Kaffee immer und immer teurer, aber gleichzeitig auch immer und immer schlechter im Geschmack. Irgendwann wirst du diesen Laden also nie wieder betreten, weil du genervt bist und du wirst auch anderen, möglicherweise davon abraten. So dauert es nicht mehr lange, bis der Laden dicht machen kann und schon ist die Marke beschmutzt – sie hat einen schlechten ruf bekommen und jeder der ein potentieller neuer Kunde sein könnte, hat mindestens einmal von diesem schlechten Ruf gehört und wird sich mehrmals überlegen, ob er den Laden betritt, oder lieber doch nicht. Verstehst du es nun?“
„Ja. Das klingt einleuchtend. Und dasselbe funktioniert mit Drogen?“
„An sich schon. Wenn man es schafft, sämtliche Vorräte der ansässigen Dealer aufzukaufen und sie zu verwahren. Dazu braucht es allerdings Undercoveragenten, die eben genau das tun.“
„Und dafür wart ihr zuständig?“, mutmaßt er.
„Genau. Nur lief es eben nicht so rund, wie gedacht. Es dauerte eine Weile, bis wir die Verantwortlichen gefunden haben…und dann ging alles schief.“ Ich schüttle leicht den Kopf, als ich daran denke, was damals geschehen ist.
Ich verstehe einfach nicht, wie ich so dumm sein konnte.
„Und?“, kommt es wieder von Nathaniel.
„Wir waren also beide dort und zwar eine ganze Weile. Nach einiger Zeit…hatte ich das Gefühl, das mit meinem Freund, Derek Stone war sein Name, etwas nicht ganz in Ordnung ist. Er war irgendwie komisch. Wir waren natürlich nicht immer zusammen, aber haben eigentlich immer in Kontakt gestanden. Irgendwann hat er sich dann nicht mehr regelmäßig bei mir und in der Zentrale gemeldet. Ich habe mir Sorgen gemacht – aber immer wenn ich ihn danach gefragt habe, hat er gesagt es sei alles in Ordnung. Dass er nur versuche unauffällig zu bleiben, weil ihn ein paar von diesen Verbrechern im Visier hätten. Und das habe ich ihm auch geglaubt…verdammt, ich war wirklich dumm…“
„Weshalb?“, fällt er mir ins Wort. Er scheint leicht nervös zu sein.
Ich hole noch einmal tief Luft.
„Er hat…einen Fehler begangen. Wir waren ziemlich lange dort…“
„Wie lang?“
„Es waren am Ende…ziemlich genau einhundert Tage.“
„Und was geschah dann? Was hat er getan?“ Er wirkt ungeduldig.
Es ist keine besonders angenehme Erinnerung.
Mein Blick gleitet durch den Raum, während ich mir kurz über die Lippen lecke, weil sie sich plötzlich sehr trocken anfühlen.
Dann sehe ich wieder nach vorn. In Nathaniels schöne Augen, die mich immer irgendwie beruhigen. „Er war…er hat…angefangen Drogen zu nehmen. Etwas, dass er niemals hätte tun dürfen. Er war nicht mehr in der Lage, seinen Job zu erledigen. Er hat Informationen veruntreut und mit einem der Dealer sogar zusammengearbeitet…ich war wirklich dumm, dass ich es nicht bemerkt habe…er hat uns verraten.“
Er scheint sehr erstaunt über diese Information. „Oh…das tut mir sehr leid“ Er sieht ebenfalls kurz nach unten, in seine Tasse.
Dann wieder zu mir. „Es tut mir leid, dass ich das jetzt frage…aber was geschah, als du es erfahren hast?“
„Nun…ich habe es erst verstanden, als es schon viel zu spät war. Ich kannte ihn so lange. Aber ich habe es einfach nicht gesehen – habe es nicht sehen wollen. Es war meine Schuld. Als er mir gegenüberstand, sollte er mich erschießen, aber er hatte Drogen genommen und ich war ohnehin schon immer der bessere Schütze von uns beiden…das Ergebnis war also von vornherein klar.“ Ich lasse die Schulter hängen und schüttle ein weiteres Mal den Kopf. „Es war meine Schuld…“, stelle ich fest und sehe wieder in meine Tasse, die langsam kühler wird.
Als ich wieder aufsehe, blicke ich in das geschockte Gesicht von Nathaniel. Na toll, das war klar…jetzt hasst er mich sicher…
Jetzt wechselt sein Blick eher zu verwirrt. „Warst du wirklich…deshalb so verängstigt es mir zu sagen?“ irgendwie klingt er ziemlich ungläubig, als er das sagt. „Wieso sollte ich dich deswegen hassen? Du hast nur getan, was du tun musstest. Ich bin mir sicher, du hättest es anders gelöst wenn es anders lösbar gewesen wäre!“, redet er auf mich ein.
„Nein, es war…meine Schuld.“, versichere ich ihm woraufhin er nun an der Reihe zu sein scheint, wild den Kopf zu schütteln.
Er streckt seine Hände nach meinen aus und ergreift sie, ehe ich reagieren kann. „Nein. Das stimmt nicht. Du bist nicht Schuld und das weißt du auch – niemand würde dir die Schuld daran geben!“
Ich lache kühl auf. Ein hohles Lachen. „Ja, niemand. Außer seiner Familie, meinst du wohl.“
„Warum würde seine Familie dir die Schuld geben?“, fragt er, beinahe schockiert.
„Weil sie mir nicht glauben, dass Derek etwas Falsches getan haben könnte!“
„Aber dafür kannst du doch nichts! Natürlich würden sie das nicht glauben, aber wenn sie dafür glauben, dass du lügst und einen Freund…tötest, ohne einen echten Grund dafür zu haben, dann sind sie dumm!“
„Nein…“, sage ich nur und ziehe meine Hände wieder aus seinem Griff. „…ich glaube, ich brauche ein bisschen Zeit…zum Nachdenken.“ Ich stehe vom Tisch auf und gehe in Richtung Tür; bekomme nur am Rande mit, wie Nathaniel mir folgt.
„Warte!“, ruft er mir nach. Ich bleibe einfach aus Reflex stehen, könnte mich aber dafür ohrfeigen.
„Was?“, frage ich ihn, als ich mich zu ihm umdrehe.
„Bleib noch…“, meint er und hält mich an einem Arm fest. Er legt eine Hand auf meine rechte Schulter und schmiegt sich ein wenig an meinen Rücken. „Ich weiß…das war nicht einfach für dich, das kann ich sehen…aber bleib noch.“
Er behandelt mich gerade wie ein rohes Ei.
Dennoch brauche ich gerade jeden noch so kleinen Teil meiner Selbstbeherrschung, um ihn nicht zu küssen.
Das ist zumindest das, was ich gerade am Liebsten tun würde…
Nein, ich sollte jetzt wirklich nicht bleiben…
Ich befreie mich aus seinem Griff. „Danke für den Tee…“
Dann verlasse ich seine Wohnung und lasse ihn, leicht traurig, dort zurück.
Ich glaube, ich muss ein bisschen klar im Kopf werden.
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